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Eine Blockkrippe als Meditationsbild auf dem Weg nach innen ...

  • 16. Dez. 2024
  • 5 Min. Lesezeit
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Als ich in der Vorweihnachtszeit auf die Krippenfigur auf dem Titelblatt gestoßen bin, hat sie mich sofort angesprochen. Ganz unterschiedliche Gedanken kamen mir in den Sinn. Vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich. Mein Vorschlag wäre deshalb, dass Sie an dieser Stelle eine kurze Lesepause einlegen und die Figur zunächst auf sich selber wirken lassen …

 

• Geborgenheit

 

Ich würde Sie im Folgenden gerne an meinen Gedanken teilhaben lassen: Die Blockkrippe stammt von einem Holzschnitzer aus Südtirol. Liebevoll legt Josef seinen Arm und seinen Mantel um Maria. Diese wiederum beugt sich schützend über das Jesuskind. Geborgenheit – ein sehr passender Titel wie ich finde.

 

Die Geburt an einem fremden Ort fernab der Heimat, dazu in einem zugigen Viehstall: Maria und Josef schenken ihrem neugeborenen Kind dennoch Wärme und größt­mögliche Geborgenheit. Von den widrigen Umständen oder der Gefahr durch den brutalen König Herodes bekommt das Jesuskind überhaupt nichts mit. Im Schutz seiner Eltern ist es sicher.

 

Damit tun Maria und Josef das, was alle Eltern ihren Kindern schenken möchten: Fürsorge, Zuwendung und größtmöglichen Schutz. Kein anderes Neuge­borenes in der gesamten Tierwelt ist dermaßen schutzlos und auf die Fürsorge der Eltern angewiesen wie ein Menschenbaby. Auch wenn in unserer Gesellschaft andere Leistungen oft viel mehr honoriert werden: Was Eltern ihren Kindern schenken, ist das Größte und Wertvollste, was wir als Menschen zu tun vermögen. Ich finde, wir sollten diesen Dank und diese Wertschätzung jungen Eltern gegen­über noch viel mehr zum Ausdruck bringen, als wir es oft tun!

  

• Ungeplante Kinder

 

Beim Nachdenken über die Krippenfigur kam mir bald noch ein zweiter Gedanke: Nicht alle Neuge­borenen sind bekanntlich Wunsch­kinder. Manchmal kommen sie zu früh oder in der aktuellen Lebens­phase schlicht ungelegen.

 

Im Grunde war das auch bei Maria und Josef so: Die Bibel erzählt, dass die beiden fest versprochen waren. Sie waren verlobt: Die Entscheidung war bereits getroffen, dass sie als Ehepaar durchs Leben gehen sollten. Das Einzige was noch fehlte: Sie waren noch nicht zusammengezogen. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die beiden damals Pläne für ihr gemeinsames Leben geschmiedet haben. Doch in diese frohe und erwartungsvolle Zeit kam plötzlich ein Engel Gottes und eine unerwartete Schwanger­schaft.

 

Beim Betrachten der Krippenfigur wurde mir bewusst, wie vorbildlich Maria und Josef sich verhalten: Es war nicht ihr Wunschkind. Die Situation war für beide misslich und peinlich zugleich. Mit einer schwan­geren Verlobten musste sich Josef sicher manchen Spott anhören. Doch beide stellen sich der Verant­wortung. Beide sind bereit, ihre eigenen Pläne zurückzustellen.

 

Es macht mich immer wieder tief betroffen, wenn mir Menschen erzählen, dass sie als Kinder nicht erwünscht waren. Manche bekamen das von ihren Eltern auch noch zu hören: „Du warst nicht unser Wunschkind.“ Manche tragen ein Leben lang an solchen Wunden. Ich will diese Eltern gar nicht verurteilen: Vielleicht waren sie zunächst einfach nur über­fordert. Aber umso mehr fasziniert mich das Verhalten von Maria und Josef: Sie schenken ihrem unge­planten Kind volle Zuwendung. Und das, obwohl sie dummerweise wegen einer Volkszählung auch noch eine Reise machen müssen. Obwohl ihr Kind in einem Stall zur Welt kommt. Und obwohl sie nach der Flucht vor König Herodes erst Jahre später in ihre Heimat Nazareth zurück­kommen. Trotz alle dem stellen sie sich ihrer Verantwortung.

 

• Der Weg nach innen

 

Zurück zur Blockkrippe: Erst beim längeren Betrachten ist mir aufge­fallen, dass es sich im Grunde um ein Meditationsbild handelt. Der Blick des Betrachters wird in eine spiralförmige Bewegung hinein­genommen: Der Weg beginnt unten rechts am Mantelsaum Josefs. Gegen den Uhrzeigersinn geht es über die Arme von Josef zu den schützenden Armen von Maria. Über die Windeln und den Körper des Jesuskindes endet die spiral­förmige Bewegung schließlich genau in der Mitte der gesamten Figur. Und das ist sicher kein Zufall.

 

Für mich wird dadurch eines ganz deutlich: Wenn wir das Wunder von Weihnachten in seiner ganzen Tiefe verstehen möchten, dürfen wir nicht bei den Äußerlichkeiten stehen bleiben, sondern müssen uns auf den Weg „nach innen“ machen. Glühwein und Punsch auf dem Weihnachtsmarkt, stimmungs­volle Dekorationen in den Häusern, liebevoll ausgesuchte Geschenke an Heiligabend: All diese schönen Dinge dürfen wir genießen. Aber sie sind noch nicht das Entschei­dende. Sie können uns dabei helfen, dem Wunder von Weih­nachten auf die Spur zu kommen, so wie der Mantel des Josef auf der Krippenfigur. Manchmal können sie uns aber auch daran hindern, bis zur Mitte vorzustoßen. Denn diese Mitte entdeckt man nur im stillen Nachdenken über das größte aller Geschenke an Weihnachten: das Kind in der Krippe.

 

Die Hirten auf dem Feld hatten zumindest das eine verstanden, dass Gott sie in ihrer Not nicht vergessen hatte. Und im Rückblick auf das Wirken von Jesus, im Nachdenken über seinen Tod am Kreuz und seine Auferweckung wurde den ersten Christen schnell deutlich: Dieser Jesus ist zum Retter und Erlöser der Welt geworden. Und die Geburt im Stall von Bethlehem war der Anfang dieses großen Rettungs­projektes Gottes.

  

• Geheimnis von Weihnachten

 

Beim Nachsinnen über diese ein­drucksvolle Krippenfigur wurde ich an ein berühmtes Gedicht erinnert: „Wird Christus tausend­mal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“ Das Gedicht stammt von dem Barockdichter und Mystiker Johannes Scheffler, der sich gerne auch Angelus Silesius nannte: schlesischer Engel.

 

Als Mystiker lag ihm vor allem eines am Herzen: Wir können Weihnachten nur dann richtig verstehen, wenn uns die Botschaft im Innersten berührt. Wenn wir im Jesuskind nicht nur eine niedliche Krippenfigur sehen, sondern den von Gott geschickten Erlöser der Welt. Den „Heiland“, der auch Zer­brochenes wieder heil machen kann.

 

In einem weiteren Vers ergänzt Johannes Scheffler: „Ach könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden, Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erden. Der Himmel senkte sich …“. Fast scheint es mir, als ob der Künstler der Krippenfigur genau dieses Gedicht im Kopf hatte: Wer sich auf diesen Weg „nach innen“ einlässt, der wird im Glauben selber zu Maria und Josef, die das Jesuskind in ihren Armen halten.

 

Unser Herz als Krippe: Natürlich ist das ungewohnte Sprache. Aber sie beschreibt sehr treffend den Kern und die Mitte von Weihnachten: Wenn wir im Jesuskind die Liebe Gottes zu uns Menschen erkennen. Wenn wir uns davon berühren lassen, dass Gott unsere Nähe sucht, weil er es nicht mehr mit ansehen kann, wie wir uns vergeblich abstrampeln.

 

Damit wird Weihnachten etwas sehr Persönliches: Wer sich für diese Nähe Gottes öffnet, hält das Wertvollste in den Armen und im Herzen, was man sich vorstellen kann. Und das hat dann meistens konkrete Folgen: Denn der Weg „nach innen“ führt unweigerlich auch wieder nach außen: Wenn die Liebe dieses Jesus von Nazareth unseren Alltag bestimmt …

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesegnetes und berührendes Weihnachtsfest!


(Veröffentlicht im Gemeindebrief unserer Kirchengemeinde im Dezember 2024)



Liebe Leserinnen, liebe Leser, wenn Sie diese Gedanken als hilfreich empfunden haben, können Sie den Text gerne mit Freunden oder Bekannten "teilen". Wenn Sie Fragen zum Thema haben oder ein seelsorgerliches Gespräch wünschen, dürfen Sie gerne mit mir Kontakt aufnehmen.


Gott segne Sie! Ihr Theo Breisacher, Pfarrer in Staufen und Münstertal

 

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