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V) Wie wirklich ist die Wirklichkeit Gottes? Kann Gott auch in die Welt der Naturgesetze eingreifen?

  • 25. Juni 2024
  • 16 Min. Lesezeit

Predigtreihe "Basics des christlichen Glaubens" Teil 5 am 9. Juli 2023 in Staufen: Gott offenbart uns in der Bibel auch seine Größe und Macht - nicht nur seine Worte



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Quelle: Pixabay


Begrüßung & Einstimmung:

 

Einen wunderschönen guten Morgen! Ich möchte Sie alle ganz herzlich zu unserem Gottesdienst begrüßen! Wir setzen heute unsere Predigtreihe „Basics des Glaubens“ fort: In der Bibel offenbart Gott nicht nur seine Liebe und seine Barmherzigkeit gegenüber den Menschen. Er zeigt zugleich auch seine Größe und Macht.

 

Allerdings sind die Menschen oft genug verschlossen in ihrem eigenen Weltbild. Und es fällt ihnen oft furchtbar schwer, ihre eigene Sicht korrigieren zu lassen – und die Welt so wahrzu­nehmen, wie sie wirklich ist.

 

Eines der berühmtesten Beispiele kennen Sie wahrscheinlich: Als Nikolaus Kopernikus vor 500 Jahren behauptete, dass sich die Erde um die Sonne dreht – die Sonne also der Mittel­punkt des Weltalls ist, da wurde er heftigst kritisiert und angefeindet. Sogar Martin Luther hat über ihn gespottet und sich ausnahms­weise der Position der katholischen Kirche angeschlossen.

 

Ähnlich erging es Johannes Keppler, knapp 100 Jahre später. Er wagte es, dem großen Aristoteles zu widersprechen. Dieser hatte behauptet, die Kreisbahnen der Planeten um die Sonne seien voll­kommen. Und deshalb müssten sie kreisrund sein. Über 1500 Jahre lang war das gängige Meinung aller Wissen­schaftler: Denn der große Aristoteles musste ja recht haben. Johannes Keppler wies nach, dass die Planeten auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreisen. Keppler musste sich gegen massiven Widerstand durchsetzen: Nicht nur die Kirche, auch viele Wissen­schaftler und Gelehrte misstrauten ihm.

 

Noch ein letztes Beispiel: Erst vorletztes Jahr habe ich gehört, dass die Urknall-Theorie in der Sowjetunion in der Mitte des letzten Jahr­hunderts jahrelang abgelehnt und bekämpft wurde. Und zwar aus rein ideologischen Gründen: Denn nach der Theorie des Marxismus-Leninismus ist die Materie ewig. Die Idee eines plötzlichen Anfangs passt zu dieser Theorie nicht. Deshalb war man dagegen.

 

Mich hat das amüsiert, weil man sonst immer nur der Kirche vorwirft, sie verhalte sich wissen­schaftsfeindlich. Heute wird die Urknall-Theorie von kaum einem Physiker in Frage gestellt. In der Sowjetunion des letzten Jahrhunderts dagegen durfte sie jahrelang nicht gelehrt werden, weil es nicht zum Weltbild passte. Mir geht es heute nicht um den Urknall. Aber um die Frage, ob wir es als Bibelleser und als Theologen nicht manchmal ganz ähnlich machen: Wir lehnen Geschichten und Aussagen der Bibel nur deshalb ab, weil sie nicht in unser Weltbild passen.

 

Darum soll es heute gehen. Und zugleich um die Freude darüber, dass wir einen großen und mächtigen Gott haben. Deshalb habe ich heute lauter Loblieder ausgewählt, bei denen die Größe Gottes im Mittelpunkt steht. Singen wir gemeinsam das erste Lied: „Du, meine Seele singe ...“


Gebet & Zuspruch: 

 

Allmächtiger, ewiger Gott, du weißt, was hinter der Milchstraße kommt. Und du warst dabei, als der Orion entstand. Du hast das Licht unserer Sonne erschaffen. Und du kennst das Geheimnis der schwarzen Löcher.

 

Wir danken dir, dass du uns trotz deiner Größe ganz nahekommst. Du bist hier in diesem Haus, in unserem kleinen Städtchen, auf unserem winzig kleinen Planeten am Rande unserer Galaxie. Danke für deine Nähe. Danke für dein offenes Ohr.

 

Ewiger Gott, du warst dabei, als unser Weltall entstand. Du hast die Kräfte der Natur so präzise geordnet, dass alles wunderbar zusammenpasst. Und du hast dafür gesorgt, dass Leben auf unserer Erde überhaupt möglich ist. Schon seit so vielen Jahren. Wir preisen deine Größe und deine Kraft und deine Weisheit.

 

Vergib uns, wenn wir oft viel zu klein von dir denken. Vergib uns, dass wir dir oft so wenig zutrauen.

 

Vergib uns, dass wir im Alltag oft wenig nach dir fragen. Vergib uns, wenn wir uns oft so viel Sorgen machen, obwohl du doch alles in der Hand hältst.

 

Du ferner Gott und du erhabener Gott, komm jetzt ganz nahe zu uns. Mach unsere Herzen weit, damit unser Staunen über dich kein Ende hat. Und unser Lob niemals verstummt.

Herr, erbarme dich!

 

 

Hört den Zuspruch der Gnade Gottes aus Psalm 77:

 

Gott, dein Weg ist heilig. Wo ist ein so mächtiger Gott, wie du, Gott, bist? Du bist der Gott, der Wunder tut, du hast deine Macht bewiesen unter den Völkern. Amen.

 

Lesung aus den Psalmen:

 

Die Psalmen im Alten Testament sind groß­artige Loblieder auf unseren Gott. Zunächst geht es um die Güte Gottes und um seine Barmherzigkeit. Um seine Geduld und seine unendliche Liebe zu seinen Geschöpfen. Das zweite zentrale Thema in den Psalmen ist die Größe Gottes und seine Macht. Dazu hören wir einige interessante Psalmverse:


In Psalm 111 lesen wir: 1 Halleluja! Ich danke dem HERRN von ganzem Herzen im Rate der Frommen und in der Gemeinde. 2 Groß sind die Werke des HERRN; wer sie erforscht, der hat Freude daran. 3 Was er tut, das ist herrlich und prächtig, und seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich.

 

4 Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige HERR … 6 Er lässt verkündigen seine gewaltigen Taten seinem Volk.

 

Psalm 106 stellt die Frage, ob man Gott überhaupt genug preisen kann für seine Größe und Allmacht: 1 Halleluja! Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. 2 Wer kann die großen Taten des HERRN alle erzählen und sein Lob genug verkündigen? 

 

Auch in Psalm 40 werden die Gläubigen aufgefordert, von den großen Taten Gottes weiterzuerzählen: 5 Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den HERRN und sich nicht wendet zu den Hoffärtigen und denen, die mit Lügen umgehen! 6 HERR, mein Gott, groß sind deine Wunder und deine Gedanken, die du an uns beweisest; dir ist nichts gleich! Ich will sie verkündigen und davon sagen, wiewohl sie nicht zu zählen sind.

 

In Psalm 71 wird besonders eine Personen­gruppe herausgehoben, die von Gottes Taten weitererzählen sollen: die Großeltern. Da heißt es: 15 Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich deine Wohltaten, die ich nicht zählen kann. … 17 Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.

 

18 Auch verlass mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde, bis ich deine Macht verkündige Kindeskindern – also den Enkeln – und deine Kraft allen, die noch kommen sollen. 19 Gott, deine Gerechtig­keit reicht bis zum Himmel; der du große Dinge tust, Gott, wer ist dir gleich?


Predigt: Gott zeigt seine Allmacht …

 

Liebe Gemeinde, vorletzte Woche erzählte mir ein Student aus seinem Religionsunterricht auf dem Gymnasium: Als sie im Unterricht über die Geschichte von der Speisung der 5000 mit nur fünf Broten und zwei Fischen sprachen, habe die Lehrerin jenes angebliche „Wunder“ folgendermaßen erklärt:

 

Als die Menschenmenge Hunger hatte, habe plötzlich einer sein Vesper aus der Tasche gezogen und mit anderen geteilt. Und weil alle an jenem Tag in einer beson­ders angerührten Stimm­ung waren, hätten am Ende alle ihr Essen mit allen anderen geteilt. Später wurde dieses besondere Gemeinschafts­erlebnis so erzählt, als seien die 5000 Menschen allein mit fünf Broten und zwei Fischen satt geworden. In Wirklichkeit hatten sie genügend zu essen, weil fast jeder etwas in der Tasche hatte.

 

Der Student meinte, er habe jene Reli-Stunde in zwiespältiger Erinnerung gehabt: Auf der einen Seite hätten manche Schüler diese Erklärung als ziemlich hilfreich empfunden. Denn man musste nicht an ein seltsames Wunder glauben, das man sich wissenschaft­lich überhaupt nicht erklären kann.

 

Gleichzeitig habe er sich aber auch die Frage gestellt, ob man dem biblischen Text mit dieser Interpretation wirklich gerecht wird? Und: Er habe sich überlegt, worin denn noch die Besonderheit von Jesus besteht, wenn es letztlich gar keine Brotvermehrung gab, sondern jeder sein mitgebrachtes Vesper mit den anderen geteilt hat? Denn dazu muss man ja keine göttlichen Fähigkeiten haben.

 

Ich finde, mein Gesprächspartner hat zielsicher die beiden relevanten Fragen erfasst:

 

1) Man versucht, dem modernen Menschen das Bibellesen mit solchen Erklärungen leichter zu machen. Das ist zumindest ein ehrenwertes Anliegen. Ich persönlich glaube zwar nicht, dass man der Bibel damit gerecht wird. Aber immerhin das Anliegen muss man anerkennen.

 

2) Zugleich muss man aber auch die Frage stellen: Nehme ich der Geschichte damit nicht die Spitze? Schneide ich mit einer solchen Erklärung nicht vielleicht sogar den Kern der Geschichte heraus? Könnte es nicht gerade das Anliegen solcher Wundergeschichten sein, die Besonderheit von Jesus als Sohn Gottes zum Ausdruck zu bringen?

 

Liebe Gemeinde, bevor Sie jetzt abschalten, möchte ich Sie einladen, einmal darüber nachzudenken: Was wäre, wenn gerade durch die Wundergeschichten die Besonderheit von Jesus sichtbar werden sollte? Wären Sie bereit, Ihr eigenes Weltbild durch neue Einsichten aufbrechen zu lassen?

 

Ich lade Sie ein, diesen Gedanken heute einmal zuzulassen: Was wäre, wenn Gott tatsächlich so gehandelt hätte, wie es in vielen biblischen Texten beschrieben wird?

 

Fast habe ich den Eindruck, dass man mit einer solchen Mei­nung in unserer Kirche inzwischen zu einer Minderheit gehört. Die Theologin Renate Wind schreibt zum Beispiel:

 

„Die biblischen Geschichten sind keine Tatsachenberichte, sondern Glaubens­geschichten ... Es geht also dort nicht um Fakten, die man für wahr halten soll, sondern um Glaubens­inhalte, die in verschiedenen Bildern und Formen ausgedrückt wurden ... Man hat sich lange damit herumgeschlagen, ob die Überlieferungen der Bibel wahr im Sinne von „wirklich passiert“ sind, dass man darüber vergessen hat, dass Wahrheit nicht gleichbedeutend ist mit Faktizität. Es gilt daher, gerade für die biblischen Texte neu zu entdecken ... dass auch solche Texte, die keine nachprüf­baren Fakten beinhalten, ihre Wahrheit haben ... Die Frage, die man an biblischen Texten stellen sollte ... lautet also nicht: Ist das wirklich so passiert? – sondern: Was soll mit diesem Text gesagt werden, welche Botschaft, welche Wahrheit will er vermitteln“.

 

Renate Wind beschreibt damit, was für viele Theologen und auch Bibelleser fast schon selbstverständlich ist. Und bei der Abitur­prüfung beten es viele Schülerinnen und Schüler herun­ter, als sei es das reine Evangelium: Viele Geschichten der Bibel seien nicht passiert, aber sie beinhalteten tiefe Wahrheiten.

 

Ich frage mich jedoch: Was sind das denn für Wahrheiten hinter den Geschichten? Und was ist das für ein Gott, zu dem ich beten soll, wenn er damals gar nichts getan hat? Letztlich braucht man Gott doch gar nicht, wenn die Menschen ihren Hunger damals selbst gestillt haben. Und die Aufgabe von Jesus war es lediglich, diesen Prozess des Teilens ange­stoßen zu haben. Dazu muss man nicht Sohn Gottes sein.

 

Noch gravierender finde ich die Folgen dieser Auslegung von Wundergeschichten etwa bei der Sturmstillung. Dazu liest man oft: Ob sich der Sturm durch das Eingreifen von Jesus sofort gelegt hat oder nicht, sei gar nicht wichtig. Wichtiger sei das andere: In der Nähe Gottes kann unsere Angst kleiner werden. Durch die kraft­vollen Worte kommen die Menschen zur Ruhe.

 

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Rembrandt: Stillung des Sturmes

 

Schön und gut, aber etwas polemisch gefragt: Wozu soll ich beten, wenn Gott damals gar nichts getan hat? Weshalb und wodurch soll ich in der Nähe Gottes ruhig werden, wenn Jesus den Sturm in Wirklichkeit gar nicht gestillt hat?

 

Ist es naiv, eine solche Frage zu stellen? Ich finde: Diese Frage liegt doch auf der Hand: Was soll ein solches Gebet: „Lieber Gott, bewahre mich! Lieber Gott, mach mich bitte gesund!“ – wenn ich gleichzeitig behaupte, dass Gott damals im Grunde gar nichts Außergewöhnliches bewirkt hat?

 

Aber genau das fordert Renate Wind in ihrem Text: „Die Frage, die man an biblischen Texten stellen sollte ... lautet also nicht: Ist das wirklich so passiert? – sondern: Was soll mit diesem Text gesagt werden, welche Botschaft, welche Wahrheit will er vermitteln“.

 

Für mich persönlich ist das kein großer Trost, wenn das wirk­lich so wäre. Ich bete zu Gott, weil ich an einen starken Gott glaube. Und ich lege mein Leben deshalb in Gottes Hand, weil ich darauf vertraue, dass er mich wirklich bewahren kann.

 

Ich respektiere jede andere Meinung. Selbstverständlich. Aber für mein persönliches Gebet, für mein Gottvertrauen in den Stürmen des Lebens ist diese Auslegung überhaupt keine Hilfe. –

 

Aber nun könnte es ja sein, dass ich mir das nur wünsche: Ich wünsche mir einen starken Gott, der in diese Welt eingreift. Ich wünsche mir einen Gott, der manchmal sogar die Naturgesetze außer Kraft setzen und auch heute noch Wunder tun kann.

 

Das könnte ja alles nur mein persönlicher Wunsch sein. Des­halb ist die entscheidende Frage: Was ist den Geschichten und Texten der Bibel angemessen? Was wollen die Geschichten der Bibel aussagen? Und: Werde ich ihnen mit meiner Art der Bibelauslegung gerecht?

 

Es ist dem an Silvester verstorbenen Papst Benedikt XVI. zu verdanken, dass er in seinem großen Jesus-Buch hinter diese verbreitete Auslegung ein dickes Fragezeichen gesetzt hat. Mit seiner ganzen Autorität als ehemali­gem Hochschulprofessor und emeri­tiertem Papst hat er dazu aufgefordert, die Jesus-Geschichten auch als historische Vorgänge zu verstehen. Als Ereignisse, die wirklich passiert sind.

 

Viele haben ihn dafür kritisiert und sein Jesus-Buch gleich wieder zur Seite gelegt. Viele andere waren ihm aber auch dankbar dafür, dass er es gewagt hat, scheinbare Selbstver­ständlichkeiten der Theologie zu hinterfragen.



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Eine diese Selbstverständlichkeiten, die Joseph Ratzinger in Frage gestellt hat, ist die These des Theologen Ernst Troeltsch: Er hat schon vor über 100 gefordert, dass alle biblischen Ge­schichten strikt innerweltlich erklärt werden müssten. Da sei kein Platz für das Eingreifen einer göttlichen Macht. Und nur das – nur diese Methode – sei wissenschaft­lich anzuerkennen.


In der historisch-kritischen Bibelauslegung wird genau diese Methode von Ernst Troeltsch weitgehend vorausgesetzt. Ich finde das fatal: Denn bevor man die biblischen Texte liest und betrachtet, legt man bereits einen Filter darüber: Alle Ge­schichten der Bibel – auch die Wundergeschichten – dürfen nur innerweltlich erklärt werden, sagt man. Und das heißt: ohne Eingreifen Gottes. Ich glaube nicht, dass man mit dieser Art der Bibelauslegung den biblischen Texten gerecht wird. Denn sie wollen gerade auch die Größe und die Macht Gottes beschreiben.

 

Mir ist das vor einigen Jahren beim Kontakt­studium in Heidel­berg sehr bewusst geworden: Morgens in der persönlichen Bibellese habe ich damals vor allem die Psalmen der Bibel gelesen. Dabei stieß ich ständig auf solche Verse, die wir eben in der Lesung gehört haben: „Wer kann die großen Taten des Herrn alle erzählen?“ Oder: „Herr, mein Gott, groß sind deine Wunder und deine Gedanken, die du uns an uns beweisest; dir ist nichts gleich!“ (Psalm 106, 2; 40, 6)

 

Es hat mich damals berührt, in wie vielen Psalmen die Größe Gottes und seine Einzigartigkeit beschrieben ist. Aber später in der Vorlesung oder beim Lesen von theolo­gischen Schriften begegnete mir genau das Gegenteil: Es sei in der Bibel nicht wichtig, ob etwas passiert ist. Es gehe lediglich um die Wahr­heit, die dahinter steht (was immer die auch sein soll).

 

Toll, dachte ich: Morgens freue ich mich über einen starken und einzigartigen Gott und bete vertrauensvoll zu ihm. Und später höre ich dann: Da war eigentlich gar nichts. Was in der Bibel steht, kann man alles auch ohne Gottes Handeln erklären.

 

Mich hat das Jesus-Buch von Joseph Ratzin­ger dazu ermutigt, noch mehr für dieses unver­stellte Lesen der biblischen Texte zu werben. Und dabei ist mir folgendes neu wichtig gewor­den: Gott offenbart uns in der Bibel nicht nur seinen Willen, seine Liebe und seine Barm­herzigkeit: So haben wir es am letzten Sonntag bei der Geschichte vom brennenden Dornbusch gesehen.

 

Zugleich zeigt uns Gott gerade in den Wunder­geschichten der Bibel, dass es ihn wirklich gibt. Dass unsere kleine Welt von einer noch viel größeren Wirk­lichkeit umschlossen ist. Und dass das nicht nur irgendwelche nebulö­sen Wahrheiten sind, sondern dass da eine Macht dahinter steht: die Wirklich­keit des allmächtigen Gottes. In der Bibel können wir ständig beobachten, dass Wahrheit und Wirk­lichkeit zusammengehören und gerade nicht auseinander gerissen werden dürfen. Was Gott sagt, das tut er auch. Und durch sein Handeln unterstreicht er zugleich seinen Anspruch, der einzige wahre Gott zu sein.

  

Und damit schließt sich der Kreis: Gesetzt den Fall, man liest die Wundergeschichten der Bibel so, wie sie dastehen, entdeckt man in ihnen plötzlich einen Gott, der handelt. Einen Gott, der in unsere menschliche Welt eingrei­fen kann. Einen Gott, der unsere Naturgesetze in besonderen Situationen auch außer Kraft setzen kann. Einen Gott, der uns wirklich beschützen kann und Böses von uns fern­halten kann. Es wäre doch vermessen, alles das von vorneherein auszuschließen!

 

Weshalb Gott nicht alle Kranken gesund macht und nicht alle schweren Unfälle vermeidet, ist ein anderes Thema. Darüber haben wir auch schon oft nachgedacht: Wir können Gott nicht auf unsere Wünsche festlegen. Gott zaubert das Böse auf dieser Welt nicht einfach weg, sondern leidet selber daran.

 

Dieses Thema will ich jetzt nicht vertiefen. Heute geht es darum: Wir glauben an einen Gott, der handelt. An einen Gott, der mächtig und stark ist – dessen unendliche Wirklichkeit unsere menschliche dreidimensionale Wirklichkeit umschließt.


Wenn man sich auf diese Art einlässt, die Geschichten der Bibel zu lesen, entdeckt man aber noch mehr: Dann entdeckt man in den Wundergeschichten der Bibel auch die Einzig­artigkeit Gottes. Die von Menschen erdachten Götter können das nicht: Einen Toten zu neuem Leben erwecken. Oder das Wasser des Roten Meeres zu teilen, damit dem Volk Israel die Flucht gelingt. Das können die Götzenbilder der Menschen nicht.

 

Aber ein Gott, der so außergewöhnliche Dinge tun kann, der muss auch ein ganz besonderer Gott sein. Und ein Jesus, der auf dem Wasser gehen kann und einem Blinden das Augenlicht schenken kann, der muss etwas Besonderes sein. Solche Wunder kann wahrlich nicht jeder vollbringen. Außer: Gott selber gibt ihm die Kraft und die Vollmacht dazu.

 

Ich kann nur werben für diesen Weg. Weil ich davon überzeugt bin, dass wir nur so dem Anspruch der biblischen Texte gerecht wird. Und weil ich nicht von vorneherein Dinge ausschließen möchte, die ich als kleiner Mensch nicht für möglich halte.

 

Und noch etwas: Weil ich Gott nicht die Ehre nehmen möchte. Das finde ich fast noch den gravierendsten Punkt: Angenom­men, Gott gibt es wirklich und die Wunder der Bibel sind wirklich passiert und Gott hat den toten Jesus an Ostern wirklich wieder lebendig gemacht: Angenommen, das stimmt alles, wie es die biblischen Texte behaupten, aber jetzt kommt ein schlauer Mensch und sagt: „Es geht in der Bibel nicht um Fakten, die man für wahr halten soll, sondern um Glaubens­inhalte, um allgemeine Wahrheiten, die in verschiedenen Bildern und Formen ausgedrückt werden.“

 

Nimmt man damit Gott nicht die Ehre, die ihm eigentlich gebührt? Ist es nicht vermessen, so über Gott zu denken und zu reden: „Eigentlich kannst du das ja gar nicht. Zumindest kann ich es nicht glauben, dass du es jemals getan haben sollst!“ Ich möchte so nicht über Gott reden. Sondern ihm danken und ihn dafür preisen, was er alles getan hat und noch tun wird.

 

Ich bin deshalb nicht der Meinung, dass man den Menschen von heute wirklich einen Gefallen tut, wenn man das Außerge­wöhnliche in den Wundergeschichten weginterpretiert. Im ersten Moment erscheint es vielleicht einfacher: Aber am Ende fehlt der wesentliche Teil der Botschaft.

 

Und gerade bei jungen Leuten erlebe ich eine große Offenheit dafür, dass die Wirklichkeit viel größer ist als das, was wir mit unseren technischen Methoden messen können. Dass es noch andere Welten geben kann über unserer sichtbaren Welt, ist für viele Jugend­liche kein großes Problem. Da sind die Er­wachsenen der 70er und 80er Jahre mit ihrem Weltbild vielleicht etwas altmodisch.

 

Und die moderne Physik hat heute ohnehin ein ganz offenes Weltbild. Manchmal finde ich die Physiker deshalb sogar um einiges demütiger als viele Theologen. Physiker sagen einem offen: Im Moment können wir die Entstehung der Welt mit dieser oder jener Theorie zwar erklären. Aber wenn wir über­morgen etwas Neues entdecken, dann werden wir die alten Theorien natürlich über den Haufen werfen oder korrigieren.


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Quelle: Pixabay

Diese Offenheit wünsche ich uns allen, wenn wir die Bibel lesen oder an biblischen Texten forschen: Lassen wir uns überraschen von diesem Gott, der Wunder tun kann. Legen wir unseren Gott nicht darauf fest, was wir kleinen Menschen uns vorstellen können. –

 

Noch ein letztes Beispiel: Unser Sohn Benedikt hat im vor­letzten Sommer seine Masterarbeit über die parlamentarische Kultur des Bundestages nach dem Einzug der Grünen unter­sucht. Er hat danach gefragt, wie die männlich dominierte Kultur im Bundestag Frauen diskriminierte und ihre Arbeit beein­trächtigte. Ein total spannendes Thema.

 

So wollte er seine Arbeit schreiben: Er wollte überprüfen, ob seine Vermutung, seine Anfangsthese zutrifft oder nicht. Seine Betreuerin hat diese Fragestellung allerdings kritisiert. Und ihr Argument fand ich be­zeichnend: Sie sagte: „Wir wissen doch noch gar nicht, ob die Frauen in der parlamenta­rischen Kultur damals überhaupt benachteiligt wurden.“


Diese Genauigkeit in der Fragestellung hat mich beeindruckt. Und so stelle ich mir wissen­schaftliches Arbeiten vor: Man geht möglichst unvoreingenommen auf ein Thema zu. Denn die Gefahr ist groß, dass man für eine Ver­mutung auch die passenden Argumente findet, wenn man sich zu sehr darauf fokussiert.

 

Das Ergebnis der Masterarbeit ist an dieser Stelle nicht so wichtig: Tatsächlich wurden damals viele Frauen im Bundestag durch die Männer benachteiligt. Und das Gehabe von manchen Männern weiblichen Abge­ordneten gegenüber etwa bei Zwischenrufen in den Debatten ist im Rückblick mehr als peinlich.

 

Was mit beeindruckt hat, ist die Vorsicht und die Offenheit, mit der jene Historikerin unseren Sohn anleitete, sein Thema anzugehen. Und das wünsche ich mir auch für die Theologie und für unser Bibellesen: Lassen wir doch unsere Sicht der Dinge immer wieder korri­gieren und erweitern durch die Perspektive Gottes: „Groß sind die Werke des Herrn; wer sie erforscht, hat Freude daran!“ 

Amen.

  

Lied: Wenn ich, o Schöpfer …

 

1. Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht, die Weisheit deiner Wege, die Liebe, die für alle wacht, anbetend überlege: so weiß ich, von Bewundrung voll, nicht, wie ich dich erheben soll, mein Gott, mein Herr und Vater!

 

2. Mein Auge sieht, wohin es blickt, die Wunder deiner Werke; der Himmel, prächtig ausgeschmückt, preist dich, du Gott der Stärke. Wer hat die Sonn an ihm erhöht? Wer kleidet sie mit Majestät? Wer ruft dem Heer der Sterne?

 

3. Wer misst dem Winde seinen Lauf? Wer heißt die Himmel regnen? Wer schließt den Schoß der Erde auf, mit Vorrat uns zu segnen? O Gott der Macht und Herrlichkeit, Gott, deine Güte reicht so weit, so weit die Wolken reichen.

 

4. Dich predigt Sonnenschein und Sturm, dich preist der Sand am Meere. Bringt, ruft auch der geringste Wurm, bringt meinem Schöpfer Ehre! Mich, ruft der Baum in seiner Pracht, mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht; bringt unserm Schöpfer Ehre!

 

5. Der Mensch, ein Leib, den deine Hand so wunderbar bereitet, der Mensch, ein Geist, den sein Verstand dich zu erkennen leitet: der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, ist sich ein täglicher Beweis von deiner Güt und Größe.

 

6. Erheb ihn ewig, o mein Geist, erhebe seinen Namen; Gott unser Vater sei gepreist, und alle Welt sag Amen, und alle Welt fürcht ihren Herrn und hoff auf ihn und dien ihm gern. Wer wollte Gott nicht dienen?

 Text: Christian Fürchtegott Gellert 1757 (EG 506)

 

Fürbittengebet & Vater Unser:

 

Allmächtiger, ewiger Gott, wir bitten dich heute für alle, die schwer krank geworden sind; für alle, die kaum noch Hoffnung auf Besserung haben:

 

Herr, greif doch ein. Du kannst auch heute noch Wunder tun. Aber wenn nicht, dann schenke den Menschen die Kraft, ihre Krankheit anzunehmen. Lass sie in Frieden heimgehen, wenn deine Stunde gekommen ist.

 

Allmächtiger, ewiger Gott, wir bitten dich für alle Paare, die sich entzweit haben und nicht mehr zueinander finden; für alle, die im Streit leben und nur noch gehässig zueinander sind:

 

Herr, greif doch ein. Du kannst auch heute noch Wunder tun. Zeige ihnen den Weg zurück zu Liebe und Versöhnung. Aber wenn nicht, dann hilf ihnen doch, zumindest in Achtung auseinander zu gehen.

 

Großer Gott, wir bitten dich für die Gewalt­herrscher dieser Welt: für alle, die ihre Völker unterdrücken; für alle, die ihren Willen mit Waffengewalt durchsetzen wollen:

 

Herr, greif doch ein. Du kannst auch heute noch Wunder tun: In Russland. Im Sudan. In Nordkorea. Und so vielen anderen Ländern. Wehre allen Kriegstreibern. Und segne alle, die sich für Frieden und Versöhnung einsetzen.

 

Barmherziger Gott, wir bitten dich für alle, die sich dir verschlossen haben; für alle, die sich nur noch um sich selber drehen; für alle, die dich bewusst ablehnen und nicht glauben können, dass es dich gibt.

 

Herr, greif doch ein. Du kannst auch heute noch Wunder tun. Bewege die Herzen und öffne ihren Verstand für dich und für deine Wirklichkeit.

 

Wir beten weiter in der Stille ... Vater Unser …

 


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Gott segne Sie! Ihr Theo Breisacher, Pfarrer in Staufen und Münstertal




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