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I) Zum Du hin geschaffen: Erster Teil einer Predigtreihe über "Basics des christlichen Glaubens" 2023

  • 29. Juni 2024
  • 14 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 22. Dez. 2024

Gottesdienst am 5. Februar 2023 in Staufen



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Begrüßung & Einstimmung

 

Einen wunderschönen guten Morgen! Zum ersten Gottesdienst unserer Predigtreihe über Grundfragen des Glaubens möchte ich Sie alle ganz herzlich begrüßen!

 

Dieses Mal wird uns die Predigtreihe das ganze Jahr über begleiten. Es werden sieben oder acht Grundfragen unseres Glaubens sein. Und am Ende haben wir miteinander einen kleinen Theologiekurs gemacht. Heute das erste Thema: Wir sind als Geschöpfe Gottes zum Du hin geschaffen.

  

Zur Einstimmung eine Geschichte von Bertold Brecht: Herr Keuner wird gefragt, ob es einen Gott gibt. Herr Keuner gibt zur Antwort:

 

„Ich rate dir, darüber nachzudenken, ob sich dein Verhalten ändern würde – je nach dem wie die Antwort auf diese Frage ausfällt. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen.

 

Würde es sich aber ändern, dann kann ich dir insofern behilflich sein, als ich dir sage: du hast dich schon entschieden. Du brauchst einen Gott.“ –

 

Eine interessante Fragestellung, mit der uns Bertold Brecht uns hier konfrontiert: Die Existenz Gottes wird danach beurteilt und damit begründet, ob der Mensch einen Gott braucht oder nicht.

 

Und die Antwort des Schriftstellers scheint deutlich: Der reife und selbständige Mensch braucht natürlich keinen Gott, um verant­wortungsvoll zu handeln. Sein Verhalten würde sich überhaupt nicht ändern, wenn es einen Gott gäbe: Er tut es auch ohne Gott.

 

Der unreife Mensch dagegen, er braucht einen Gott im Hintergrund. Sonst handelt er nicht verantwortungsvoll. Er handelt nur deshalb gut, weil Gott es will. Oder weil Gott ihn für seine guten Taten belohnt oder für seine Bosheit bestraft.

 

Wie gesagt: Die Frage nach Gott wird danach entschieden, ob der Mensch einen Gott braucht oder nicht. In der Bibel begegnet uns allerdings eine ganz andere Situation: Da stellt sich Gott als der Schöpfer und Herr des Lebens vor, ob dem Menschen das gefällt oder nicht.

 

Deshalb beginnen die zehn Gebote ziemlich dezidiert: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst ...“. Punkt! Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Und so weiter.

 

Darüber möchten wir heute nachdenken: Was ist das für ein Gott, der sich in dieser Weise vorstellt? Und wie kann und soll der Mensch in angemessene Weise darauf reagieren?

 

Gebet am Anfang


Wir beten mit Worten von Jörg Zink:

 

Ich lasse mich dir, heiliger Gott, und bitte dich:Mach ein Ende aller Unrast.

Meine Gedanken lasse ich dir.Ich glaube nicht mehr, dass ich so klug bin,

mich selbst zu verstehen, dieses ganze Leben oder die Menschen. Lehre mich deine Gedanken denken.

Meine Pläne lasse ich dir.Ich glaube nicht mehr, dass mein Leben einen Sinn findet in dem, was ich erreiche von meinen Plänen. Ich vertraue mich deinem Plan an, denn du kennst mich.

Meine Sorgen um andere Menschen lasse ich dir.Ich glaube nicht mehr, dass ich mit meinen Sorgen irgendetwas bessere. Das liegt allein bei dir. Wozu soll ich mich sorgen?

 

Die Angst vor der Übermacht der anderen lasse ich dir.Du warst wehrlos zwischen den Mächtigen.Die Mächtigen sind untergegangen. Du lebst.

Meine Furcht vor meinem eigenen Versagen lasse ich dir.Ich brauche kein erfolgreicher Mensch zu sein,wenn ich ein gesegneter Mensch sein soll nach deinem Willen.

Alle ungelösten Fragen, alle Mühe mit mir selbst, alle verkrampften Hoffnungen lasse ich dir. Ich gebe es auf, gegen verschlossene Türen zu rennen, und warte auf dich. Du wirst sie öffnen.

Ich lasse mich dir. Ich gehöre dir, Gott. Du hast mich in deiner guten Hand. Ich danke dir.

Herr, erbarme dich!

 

 

Hört den Zuspruch der Gnade Gottes:

 

Jesus sagt: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer fest mit mir verbunden bleibt, der bringt viel Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Amen.

 


Predigt: Zum Du hin geschaffen

 

Liebe Gemeinde, gibt es einen Gott? Brauche ich einen Gott? Gibt es Gott nur deshalb, weil wir ihn brauchen? So hat Bertold Brecht in seiner Geschichte am Anfang gefragt.

 

In der Bibel begegnet uns eine ganz andere Bewegung: Gott stellt sich den Menschen vor: „Ich bin da. Ich bin euer Schöp­fer. Ihr seid meine Geschöpfe. Zwischen uns besteht zwar ein himmelweiter Unterschied. Aber ihr seid mir wichtig.“

 

In der Bibel ist es gar nicht so wichtig, was die Menschen über Gott denken. Entscheidend ist immer diese andere Bewegung: Gott ergreift die Initiative. Er stellt sich den Menschen vor: „Hallo, meine lieben Geschöpfe! Da bin ich! Ohne mich gäbe es euch gar nicht! Ich habe eine Menge vor mit euch!“

 

Der christliche Glaube ist bekanntlich eine Offenbarungs­religion: Wir werden dieses Thema in einem anderen Gottesdienst noch weiter vertiefen. Aber diese Linie zieht sich durch die ganze Bibel hindurch: Es ist ziemlich unwichtig, welche Gedanken sich die Menschen über Gott machen. Gott selber setzt den Rahmen. Er offenbart sich.

 

Und eines der wichtigsten Dinge, die Gott dabei offenbart hat: Wir sind zum Du hin geschaffen. Die Bestimmung des Menschen erfüllt sich erst in der Beziehung zu Gott. 

Darüber möchten wir heute nachdenken. Mir ist aufgefallen, dass sich diese Verbindung mit Gott, diese Beziehung zu Gott auf drei Ebenen zeigt: Und auf jeder weiteren Ebene wird die Beziehung zu Gott ein Stück enger und vertrauter.

 

1. Ebene: Schöpfer – Geschöpf

 

Beginnen wir mit der ersten Ebene: Gott ist der Schöpfer. Wir sind Geschöpfe. Wir können als Menschen zwar auch kreativ sein. Wir können auch schöpferisch sein. Aber wir können immer nur das umformen und gestalten, was da ist.

 

Wirklich schöpferisch ist allein Gott. Von ihm kommt alles Leben. Er ist die Quelle der Kraft. Die Quelle des Lichtes. Die Quelle der Liebe. Er ist auch der Schöpfer der Zeit.

  

Eines der bekanntesten Gemälde der Kunstge­schichte: Die Erschaffung des Menschen von Michelangelo. Auf geniale Weise hat der Künstler zwei Dinge zum Ausdruck gebracht: Der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf. Der himmelweite Unterschied zwischen Gott und Mensch.

 

Aber zugleich auch die Beziehung zueinander: Die Finger berühren sich nicht. Aber gerade dadurch erzeugt das Bild eine Hochspannung: Man spürt förmlich, wie die göttliche Energie schon im nächsten Moment auf den Menschen überspringt. In der Schöpfungsgeschichte heißt es dazu: „Gott blies dem Menschen den Atem des Lebens ein. So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.“ (1. Mose 2, 7)


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Unter den Religionen und Weltanschauungen ist das beileibe nicht die einzige Vorstellung: Im Pantheismus beispielsweise wird die Natur, der Kosmos, die Welt, das ganze Sein mit Gott gleichgesetzt. Einen persönlichen oder personifizierten Gott braucht man in diesem Konzept nicht. Man braucht keinen Schöpfer. Alles zusammen ist in der Summe das Göttliche. Eine Sonderform dieser Vorstellung ist der sogenannte „Panentheismus“: Die ganze Welt, alle Menschen haben Anteil am Göttlichen. Aber Gott ist viel größer als die Welt, sagt man.

 

Pantheismus, Panentheismus: Bei vielen unserer Zeitgenossen ist das eine höchst beliebte Vorstellung: Die Natur, die Bäume, die Tiere: Alles hat eine Seele. Alles ist irgendwie auch Teil des Göttlichen, heißt es. Der bleibende Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf wird dabei allerdings eingeebnet. Nivelliert. Alles ist irgendwie Göttlich. Jeder Mensch trägt ein Teil des Göttlichen in sich.

 

Weshalb diese Vorstellung bei vielen Men­schen ziemlich beliebt ist, hängt möglicher­weise auch damit zusammen, dass man dann keinen Gott hat, der einem auf die Finger schaut. Und es gibt auch keinen Gott, der uns am Ende des Lebens etwa zur Rechenschaft zieht. Dann sind wir nur uns selbst verant­wortlich. Und der Gemeinschaft, in der wir leben.

 

In der Bibel ist das anders: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“: Das gefällt nicht jedem, dass man da als Mensch erst einmal „eingenordet“ wird: Man ist nur Geschöpf. Man verdankt sein Leben einem andern. Und am Ende steht uns eine ernste Unterredung bevor, was wir denn mit unserem Leben gemacht haben.

 

Keine Sorge: Die Beziehung zwischen Gott und Mensch hat noch andere Dimensionen. Aber auf der ersten Ebene wird erst einmal der Unterschied, die Differenz betont: „Meine Gedan­ken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, sagt Gott. Sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken höher als eure Gedanken.“ (Jesaja 55, 8f)

 

Gott ist die Quelle des Lebens. Aber er ist am Ende des Lebens auch unser Richter. Wir Menschen sind zwar herausgehoben unter allen Geschöpfen auf dieser Welt. Aber wir sind nicht die Herren der Welt. Wir können nicht einfach tun, was wir wollen. Unser Leben, unser Körper ist nicht unser Eigentum. Das alles ist nur eine Leihgabe. Eine Leihgabe auf Zeit. Und am Ende müssen wir sie wieder abgeben und Rechenschaft ablegen.

 

Die Ehrfurcht vor Gott, der Respekt vor Gott und die Demut vor diesem großen Gottes ist dabei die allein angemessene Haltung des Menschen: Wir müssen zwar keine Angst haben vor diesem Gott, aber wir sollen Respekt vor ihm haben. Ihm in Ehrfurcht begegnen.

 

2. Ebene: Vater/Mutter – Kind

 

Gehen wir einen Schritt weiter: Denn über diese erste Ebene unserer Beziehung zu Gott legt sich nun eine zweite Ebene: Gott sorgt sich um seine Geschöpfe. Es ist ihm nicht egal, wie es den Menschen geht. Er bemüht sich darum, in Kontakt zu treten mit seinen Geschöpfen. Und er lässt es sich eine Menge kosten, damit es den Menschen gut geht.

 

Für diese zweite Ebene der Beziehung zwischen Gott und den Menschen gibt es in der Bibel ganz unterschiedliche Bilder: So wie sich ein Hirte um seine Herde kümmert, so und noch viel mehr sorgt Gott für die Menschen. Wir alle kennen dieses Bild.

 

Noch enger hat Jesus das Verhältnis zu Gott beschrieben: Gott ist wie ein Vater oder wie eine Mutter zu ihren Kindern. Wir dürfen liebevoll „Papa“ zu ihm sagen. Wir dürfen ihm unser Herz ausschütten. Wir dürfen seine Nähe suchen. Wir müssen keine Angst vor ihm haben. Wir dürfen ihm vertrauen.

 

Es gibt zu diesem Thema ein eindrucksvolles Bild von Sieger Köder: Geborgen in der Hand Gottes. Man sieht den Kopf eines Kindes. Um den Kopf herum zwei starke Hände. Und umschlossen ist alles von einem Kreis in den Farben des Regenbogens.

 

Jesus hat das Verhältnis zu Gott auf dieser Ebene in wunder­barer Weise einmal so beschrieben. Jesus sagt in der Berg­predigt: „Bittet Gott, und er wird euch geben! Sucht, und ihr werdet finden! Klopft an, und euch wird die Tür geöffnet! Denn wer bittet, der bekommt. Wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird geöffnet.

 

Würde etwa jemand von euch seinem Kind einen Stein geben, wenn es um ein Stück Brot bittet? Oder eine Schlange, wenn es um einen Fisch bittet? Trotz all eurer Bosheit wisst ihr Menschen doch, was gut für eure Kinder ist, und gebt es ihnen. Wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes schenken, die ihn darum bitten!“ (Matthäus 7, 7 – 11)

 

Damit kommt eine zweite entscheidende Dimension in unser Verhältnis zu Gott: Während auf der ersten Ebene der Unter­schied zwischen Gott und Mensch im Vorder­grund stand, wird hier die vertrauensvolle Nähe zu Gott beschrieben.

 

So wie sich ein Kind auf den Schoß seines Papas setzt und ihm erzählt, was es im Kinder­garten erlebt hat, so dürfen wir uns beim Beten unserem Vater im Himmel gewissermaßen auf den Schoß setzen und ihm alles erzählen, was uns beschäftigt. Der himmelweite Unterschied zwischen Gott und Mensch wird damit zwar nicht aufgehoben. Aber das andere ist genau­so wichtig: Wir dürfen dem allmächtigen Gott ganz nahe kommen. Gott will das sogar. Er freut sich darüber. Zur Ehrfurcht vor Gott und zum Respekt vor Gott, kommt hier die Liebe zu Gott und das Vertrauen zu ihm.

 

In vielen Religionen ist das anders: Da müssen die Menschen den Göttern Opfer darbringen, um sie günstig zu stimmen. Und die Menschen nehmen oft unsägliche Mühen auf sich, um die vermeintlichen Forderungen der Götter zu erfüllen.

 

Bei unserem Gott ist es genau umgekehrt: Gott gibt sich unend­lich viel Mühe, damit es uns Menschen gut geht. Gott verlangt zwar auch, dass der Mensch aktiv wird. Aber am Anfang steht immer der Einsatz Gottes für die Menschen. Am Anfang steht bei Gott nie die Forderung, sondern das Geschenk. 

 

Wahrscheinlich ist es Ihnen aufgefallen, dass ich Ihnen im ersten Teil der Predigt bei den zehn Geboten einen wichtigen Satz unter­schlagen habe. Wer hat’s gemerkt? „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“

 

Was fehlt? Natürlich der Bezug auf den Exodus: „Ich bin der Herr, dein Gott; ich habe dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Du sollst außer mir keine anderen Götter verehren“. (2. Mose 20, 2 – Hoffnung für alle)

 

Bevor Gott überhaupt etwas verlangt von uns Menschen, zählt er auf, was er bereits für die Menschen getan hat. Psalm 103: 

„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünde vergibt und heilt alle dein Gebrechen. Der dein Leben vom Verderben erlöst.“ 

 

Am Anfang steht bei Gott nie die Forderung, sondern das Geschenk. Und in Jesus hat er sogar die Schuld der Menschen getragen. Selbst diesen Job übernimmt Gott für die Menschen. Wir müssen nicht selber büßen. Jesus opfert sich für uns.

 

Was ist das für ein Gott? Wo gibt es denn so etwas? Nicht die Menschen müssen die Götter bedienen. Nein, Gott selber dient den Menschen. Bei der Fußwaschung hat sich Jesus selber den Schurz angezogen. Und am nächsten Tag ist er am Kreuz für die Schuld der Welt gestorben, obwohl er selber völlig unschuldig war.

 

Wo auf der Welt gibt es einen solchen Gott? Das ist das Thema eines Liedes von Albert Frey. Wir möchten es an dieser Stelle mitein­ander singen: „Du hast Erbarmen ...“ (NL 28)

 


Wir beschäftigen uns mit Grundfragen des Glaubens. Und dabei werfen wir immer auch einen Blick auf andere Reli­gionen und Welt­anschauungen. Nicht um andere niederzu­machen, sondern um die Unterschiede besser zu sehen. Und um sich immer wieder bewusst zu machen, was für einen unglaublichen Gott wir haben.

 

Wir hatten auf der ersten Ebene den großen Unterschied gese­hen: Zwischen Schöpfer und Geschöpf besteht ein himmel­weiter Unter­schied. Aber zugleich sucht Gott immer wieder die Nähe zu den Menschen. Wir sollen Gott mit Respekt und Ehrfurcht begegnen. Aber zugleich dürfen wir uns ihm im Gebet auf den Schoß setzen. Beides ist richtig: Die Distanz, aber auch die Nähe. Beides gehört zusam­men. Und gerade dadurch wird eine Beziehung möglich: Im Pantheismus oder im Panentheismus kann ich zu keinem Gott beten, weil ich ja selbst Teil des Göttlichen bin.

 

Auch im Buddhismus hat das Gebet eine andere Funktion: Es gibt in dieser Religion gar keinen Gott. Der Mensch versucht vielmehr durch Meditationen und andere religiöse Übungen, ein besserer Mensch zu werden, die falsche Gier in sich zu überwinden und ein verantwortungs­volles Leben zu führen.

 

Wenn ich in der Schule mit den Schülern Filme über buddhis­tische Mönche anschaue, bin ich immer wieder beeindruckt über das, was sie für ihre Religion auf sich nehmen. Aber im Endeffekt haben sie nur sich selbst und ihre Glaubensgenossen. Es gibt keinen Gott, dem sie ihr Herz ausschütten könnten. Es gibt keinen Gott, der ihnen die Hand auf die Schulter legt.

 

Aber auch bei uns haben inzwischen viele Menschen Probleme mit einem Gott, den man sich als personales Wesen vorstellt. Sie reden lieber allgemein von Gott als der Quelle oder Gott als die Kraft oder Gott als das Licht.

 

Der leider schon verstorbene frühere Ober­kirchenrat Michael Nüchtern hat es uns an­hand von Psalm 23 einmal sehr ein­drucksvoll beschrieben: Ein Gläubiger, der an keinen persön­lichen Gott glaubt, würde so beten: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Kraft fließt mir zu. Mir geht ein Licht auf. Ich fühle mich dem Ewigen verbunden. Deshalb habe ich keine Angst mehr.“

 

Und dann hat er uns ganz engagiert vorge­tragen, was das Besondere in Psalm 23 ist: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ Das ist der springende Punkt: „Denn du bist bei mir.“ Da ist einer, der mich liebt! Da ist einer, dem ich wichtig bin! Da ist einer, der mich in die Arme schließen kann! Wer nur an eine göttliche Kraft glaubt, bleibt in der Not letzten Endes allein. Wer an ein göttliches Licht glaubt, hat am Ende nur sich selbst und die Menschen neben sich. Aber keinen Gott, der mich liebt.

 

Nur wenn es diesen bleibenden Unterschied gibt zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf, kann ich meine Hand aus­strecken und darauf vertrauen, dass ein anderer diese Hand ergreift. Nur wenn wir nicht selber Teil des Göttlichen sind, können wir uns auf Gott verlassen und darauf vertrauen, dass er es gut meint mit uns.

 

Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was durch dieses Wort „verlassen“ ausgedrückt ist? Ich verlasse mich auf Gott, damit ist zunächst gemeint, dass wir auf Gott vertrauen. Zugleich ist noch etwas anderes gemeint: Ich verlasse mich auf Gott hin. Ich suche die Mitte nicht in mir selbst, sondern in Gott. Ich darf die Hand ergreifen, die Gott mir entgegenstreckt. Ich finde das Glück meines Lebens außerhalb von mir selbst: In dem, was Gott mir schenkt.

 

Ich glaube, darin steckt eine ganz tiefe Wahrheit: Ich verlasse mich auf Gott. Ich finde mein Glück in ihm. Von dieser Seite her bekommt das Gebet von Jörg Zink von eben noch einmal einen ganz neuen Klang: Ich lasse mich dir ... Sie können das Gebet zuhause ja noch einmal bedenken und beten.

 

3. Ebene: Braut – Bräutigam

 

Uns fehlt aber noch die dritte Ebene unserer Beziehung zu Gott. Die möchte ich zum Schluss zumindest noch kurz anschnei­den: In einer noch intensiveren Form wird die Verbin­dung zwischen Gott und Mensch mit der Liebe von Braut und Bräutigam beschrieben.

 

Beim Propheten Hosea im Alten Testament macht Gott seinem Volk praktisch einen Heiratsantrag: „Ich will mich mit dir verloben für alle Ewigkeit, ich will mich mit dir verloben in Gerechtigkeit und Recht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ja, in Treue will ich mich mit dir verloben, und du wirst den HERRN erkennen.“ (Hosea 2, 21f)

 


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Diese hochvertraute Nähe zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf klingt schon fast anstößig: Aber es stammt ja von Gott selbst: Ich will mich mit dir verloben in alle Ewigkeit ...

Und genau der gleiche Gedanke ist im Neuen Testament im 1. Johannesbrief aufgegriffen: „Gott ist die Liebe, und wer in dieser Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“ (1. Johannes 4, 7 + 16)

 

Auf dieser dritten Ebene sind wir praktisch auf Augenhöhe mit Gott: Wir vergessen nicht, dass wir nur Geschöpfe sind. Wir vergessen nicht, dass er Vater und Mutter ist und wir nur Kinder Gottes. Aber das Ziel Gottes ist es, dass wir in der Liebe mit ihm verbunden sind, so wie Braut und Bräutigam miteinander verbunden sind.

 

Von dem russischen Künstler Rublev gibt es die bekannte Drei­faltigkeitsikone: Anhand der Geschichte aus dem Alten Testament, als Abraham Besuch von drei Männern bekommt, die ihm und seiner Frau Sara einen Sohn ankündigen, anhand dieser drei Männer stellt Rublev die göttliche Dreieinigkeit dar.

 

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Es gäbe zu dieser Ikone ganz viel zu sagen. An dieser Stelle nur ein Gedanke: Die drei Personen der göttlichen Dreieinigkeit sind in Liebe miteinander verbunden. Diese Verbun­denheit beschreibt der Künstler durch die Haltung der Köpfe und die Haltung der Hände: Links im Bild ist Gott, der Vater. In der Mitte der Sohn. Und ganz rechts der Heilige Geist. Die drei Personen der göttlichen Dreieinigkeit sind in unendlicher Liebe miteinander ver­bunden. Allerdings ist die Gruppe der drei Personen nach vorne offen: Sie ist offen zum Betrachter hin. Und das ist natürlich kein Zufall:

Gott möchte uns Menschen in den Kreislauf seiner Liebe einbeziehen. Gott möchte nicht bei sich selber bleiben. Wir sind als seine Ebenbilder geschaffen, weil Gott seine Liebe mit uns teilen möchte.

 

Bei so viel Nähe zu Gott stockt einem fast der Atem: Können wir diese Nähe Gottes über­haupt aushalten? Wollen wir Gott so nahe kommen? Wollen wir uns darauf einlassen: auf diese enge Verbindung in herzlicher Liebe?

 

Wir sind zum Du hin geschaffen. Es ist ele­mentar wichtig für unseren Glauben, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem ewigen Gott und uns sterblichen Geschöpfen. Und es wird immer gefährlich, wenn man diesen Unterschied einebnen will. Aber gerade deshalb ist ja die Liebe möglich: Natürlich kann und soll man sich auch selber lieben. Aber das Kennzeichen der Liebe ist doch gerade, dass zwei unterschiedliche und von sich getrennte Individuen in herzlicher Liebe verbunden sind.

 

Diese dritte Ebene hat Gott sich schon am Anfang der Schöpfung gewünscht: „Gott ist die Liebe, und wer in dieser Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“

 

Lassen wir uns doch ein auf diese Bewegung der Liebe, in die Gott uns nehmen möchte: Wir können ihm nur in Ehrfurcht und in Respekt begegnen. Aber zugleich auch in einer großen und herzlichen Liebe. Amen.

 

 Fürbittengebet mit Vater Unser

 

Allmächtiger, ewiger Gott, wir danken dir, dass wir dir nicht gleichgültig sind. Du liebst uns und du willst das Beste für uns.

 

Du gehst uns nach und suchst immer wieder unsere Nähe. Jeder von uns ist so in deiner Hand, als wäre er deine einzige Sorge.

 

Zeige uns doch immer wieder und immer besser, wie außerge­wöhnlich du bist:

Du liebst uns, obwohl wir dir oft Sorgen machen. Du hältst an uns fest, obwohl wir dir oft keine Ehre machen. Du suchst uns, obwohl wir dir oft aus dem Weg gehen.

 

Herr, lass uns erfahren, wie schön es ist, dir zu vertrauen. Lass uns erfahren, dass wir nichts verlieren, sondern alles gewinnen, wenn wir uns dir anvertrauen.

 

Sei bei allen, die auf der Suche sind nach Glück und Frieden. Mache sie bereit, sich von dir finden zu lassen.

 

Sei bei allen, die vom Glauben enttäuscht wurden. Zeige ihnen, dass du dennoch Gutes mit ihnen vorhast, auch wenn du manche Gebete nicht erhörst.

 

Für uns alle bitten wir dich: Lass uns nicht vergessen, dass wir alle nur Gäste sind auf dieser Welt. Hilf, dass wir mit unseren Gaben zum Segen werden für andere. Und lass uns bereit sein für dich, wenn unsere Stunde einmal kommt.

 

Wir beten weiter in der Stille – miteinander und füreinander … Vater unser …



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Gott segne Sie! Ihr Theo Breisacher, Pfarrer in Staufen und Münstertal

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